Trauer als Selbstdarstellung?

Offene Trauerbewältigung stößt oft auf gesellschaftliche Ablehnung, da tief verwurzelte Scham- und Verdrängungsmuster viele Menschen daran hindern, über ihre Gefühle zu sprechen. Mehr Offenheit im Umgang mit Trauer kann helfen, sie als natürlichen Teil des Lebens anzunehmen und die Angst vor dem Tod zu verringern.

Kürzlich spricht mich doch eine Bekannte an und meint: „Gundula, diese Trauernden da in Deinem Trauercafé sind doch irgendwie merkwürdig, oder? Wie kann man denn die Trauer so feiern? Irgendwann muss es doch mal gut sein. Und überhaupt, warum setzt Du Dich schon wieder für ein Thema ein, was gefühlt niemanden betrifft.“

PAUSE

Sprachlosigkeit und viele Gedanken

Ich bin selten sprachlos. Doch darauf konnte und wollte ich nicht antworten.
Lange habe ich über diese Aussage gebrütet. Lange habe ich versucht zu analysieren, warum diese verbalen Ohrfeigen immer wieder von Trauernden oder auch Trauerbegleitern gehört werden.

Warum fällt es vielen so schwer, Trauer anzunehmen?

Meine Annahmen mal kurz zusammengefasst:

  • Nur wer geliebt hat, wird Trauer empfinden – diese Menschen haben noch nie geliebt!
  • Nur wer jemals einen geliebten Menschen verloren hat, kann echte Trauer empfinden.

 

Diese Menschen haben noch nie wirklichen Verlust erlebt. Dazu gehört auch der Verlust eines Arbeitsplatzes, der Verlust einer langen Freundschaft, das nicht Erreichen eines Lebenstraumes, der unerfüllte Kinderwunsch, Verlust der Gesundheit etc.

Ich bin noch lange nicht am Ende meiner Analysen und diese ein paar wenigen Aussagen sind alles andere als die absolute Wahrheit.
Aber was passiert gerade in unserer Gesellschaft, dass die o.g. Aussage überhaupt ausgesprochen wird?

Unsere Vorfahren und ihr Umgang mit Verlusten

Vor noch gar nicht so langer Zeit erlebten unsere Vorfahren eine Vielfalt von Trauer. Krieg, Flucht, der Verlust der Heimat, der Verlust von Männern, Frauen, Kindern, die im Krieg gefallen und gestorben sind. Wie konnten unsere Vorfahren mit all den Traumata umgehen? Ja, indem sie es in sich verkapselt haben. In vielen Familien wurde nicht darüber gesprochen. Und wenn gesprochen wurde, dann oftmals nicht bedingungslos. Viele Details wurden zum Schutze oder auch aus Scham verschwiegen.

Alte Muster prägen uns noch heute

Nun sind wir Jahrzehnte weiter, aber doch noch nicht weiter. Wir tragen die kollektive Trauer in uns und dazu kommt nun noch die eigene Trauererfahrung. Wer Scham und Vertuschung vorgelebt bekommen hat, der wird selbst nicht anders handeln können. Wer eine Mutter hatte, die über ihre Gefühle und Erlebnisse nie offen gesprochen hat, der wird selbst auch viel Scham empfinden. Wer einen Vater zum Vorbild hatte, der Gefühle ignoriert oder gar mit Gewalt und strengen Regeln ausgelöscht hat, der hat Angst vor Konsequenzen und schweigt. Eine andere Möglichkeit ist, sich darüber lustig zu machen, um seine eigene Schwäche zu vertuschen.

Wenn Trauer plötzlich sichtbar wird

Nun kommen Menschen in einem Trauertreff zusammen und erzählen offen über ihre Ängste und Sorgen. Sie tauschen sich aus über ihre Verletzungen und wirren Gefühle. Offen und ehrlich, vertrauensvoll und authentisch. Tränen dürfen gezeigt werden und Wut darf ausgesprochen werden.

Was macht das nun mit den Menschen, die so etwas noch nie erlebt haben? Was empfinden Menschen, die noch nie ihre Seele ausgeschüttet haben? Sie sind voller Scham und Ablehnung. Jahrzehntelange Selbstbeherrschung kann nicht einfach mit einem Knopf abgedreht werden.

Glaubenssätze, die uns geprägt haben

Viele haben Sätze gehört wie:

  • „Trag Dein Herz nicht auf der Zunge!“
  • „Offenheit macht verletzlich!“
  • „Es geht andere nichts an, wie es in deinem Herzen aussieht!“
  • „Dinge geschehen, da muss man durch!“
  • „Das haben Generationen vor dir auch alles erlebt. Stell dich nicht so an!“

 

Auch ich kenne mantraartige Sätze wie: „Was hier in unseren vier Wänden passiert, geht niemanden etwas an!“ oder „Darüber spricht man nicht, was sollen die Anderen von dir denken!“


Ist es da nicht logisch, dass eine offene Kommunikation über Tod und Trauer abgelehnt wird?

Zwischen Normalität und Diagnose

Zudem kommt dann der politische Umgang mit Trauer. Offiziell heißt es, dass Trauer normal ist. Und wenn sie plötzlich doch schlimm ist, dann ist das eine psychische Erkrankung.

Wikipedia schreibt dazu:

„Die anhaltende Trauerstörung (englisch prolonged grief disorder) beschreibt eine psychische Störung, bei der ein Hinterbliebener in Folge eines schwerwiegenden Verlustes (meist Tod einer nahestehenden Person) eine pathologische Trauerreaktion entwickelt. Sie wird in das ICD-11 als eigenständige Diagnose aufgenommen.“

Mein persönlicher Blick darauf

Ich werde mich mit diesen Themen hier in meinem Blog weiter auseinandersetzen.

Um noch einmal auf meine Annahmen zurückzukommen:

Sie sind nicht richtig. Diese verbalen Ohrfeigen kommen nicht von Menschen, die noch nie Trauer erlebt haben. Und ja, diese Menschen können sehr wohl lieben. Doch sie erleben Scham oder auch Unverständnis, wenn sie offene und kommunikative Menschen erleben. Unverständnis, weil sie nie gelernt haben, offen über ihre Gefühle zu sprechen.

Lasst uns Trauer einen Platz geben

Und da haben wir noch viel zu tun und aufzuklären und vor allem vorzuleben.
Ich werde mich weiter dafür einsetzen, dass Trauer endlich in unserer Gesellschaft angenommen und wertgeschätzt wird.

Je offener wir darüber reden, umso eher kann sie gesund in unser Leben integriert werden.

Wenn wir uns dem Tod stellen, wird er den Schrecken verlieren.

Herzensgrüße von

Gundula

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Gundula Engels

Als leidenschaftliche Wissensvermittlerin und Begleiterin bringe ich über 25 Jahre Erfahrung in der persönlichen Entwicklungsarbeit mit. Meine Expertise speist sich aus einem fundierten Hintergrund in Psychologie, Entspannungstraining, Hypnose, mentaler Arbeit sowie der Gesundheits-, Trauer- und Aromapraktik.
Was mich auszeichnet, ist mein puristischer Ansatz: Ich vermittle Wissen klar, praxisnah und frei von Dogmen. Dabei steht für mich die individuelle Persönlichkeit meiner Klienten im Mittelpunkt. Mein Weg führte mich von der Bankkauffrau über die Ausbildungsleitung in einem mittelständischen Unternehmen bis hin zur selbstständigen Beraterin.
Persönliche Erfahrungen fließen in meine Arbeit ein und ermöglichen mir einen authentischen, herzlichen Zugang zu Menschen in Veränderungsprozessen.

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